Neue Wege gehen

 

Die Universität Jena ist eine von 20 deutschen Hochschulen, die in der zweiten Runde des Wettbewerbs von der EU-Kommission ausgewählt wurden eine Europäische Hochschule mitzubegründen.

Die Universität Jena baut mit ihren Partnern eine „Europäische Hochschule“ auf – und arbeitet dabei mit der Zivilgesellschaft, Schulen und Unternehmen zusammen.

Ein Streifzug durch Jena ist eine Reise in die Zukunft und Vergangenheit – und zu Orten, die beides miteinander verbinden. Einerseits ist Jena Hightech-Standort und international bekannt für Forschungseinrichtungen und Unternehmen im Bereich Optik. Dazu zählen das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik und Firmen wie Zeiss und Jenoptik. Andererseits hat die Stadt mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine der ältesten Hochschulen Deutschlands. Zusammen mit sechs Partnern geht die Universität nun auf europäischen Wegen voran und baut eine der insgesamt 41 „Europäischen Hochschulen“ auf.

Europäische Hochschulen sind transnationale Allianzen von Hochschuleinrichtungen aus der gesamten EU. Die Europäische Kommission hatte die ersten 17 Hochschulallianzen 2019 bekanntgegeben. Weitere 24 folgten im Juli 2020 – unter ihnen die Universität Jena und ihre Hochschulpartner aus Finnland, Frankreich, Italien, Portugal, Rumänien und Spanien. Zusammen bilden sie die Allianz „Europäischer Campus der Stadt-Universitäten“, kurz EC2U. Alle sieben Universitäten sind traditionsreiche Einrichtungen und, wie der Name der Allianz unterstreicht, eng mit ihrer Stadt verbunden. Jede hat 2016 die sogenannte Poitiers Declaration unterzeichnet. Darin betonen sie, wie sehr Universitäten und Städte voneinander profitieren – und erklären, noch stärker zusammenarbeiten zu wollen. Genau das wird nun im Rahmen von EC2U geschehen.

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena ist weltoffen: Sie unterhält 270 Hochschulpartnerschaften weltweit und hat 580 Erasmus-Verträge geschlossen.

Unter dem Titel „Science with and for Society“ soll unter anderem der Unternehmergeist unter Studierenden und jungen Forschenden gefördert werden. Hierzu organisiert die Universität sowohl Online-Kurse als auch Firmenbesuche und Workshops zusammen mit Unternehmensvertretern. Im Anschluss daran werden Firmen-Mentoren die Studierenden weiterhin begleiten. Anregungen für die Zusammenarbeit mit den Unternehmen sollen unter anderem vom Partner aus Spanien kommen. „Die Universität in Salamanca hat bereits jetzt ein umfangreiches und erfolgreiches Programm zur Zusammenarbeit mit Unternehmen“, sagt Dr. Claudia Hillinger, Leiterin des Internationalen Büros der Universität Jena. „Da können wir einiges lernen.“ Dazu gehört unter anderem ein Praktikumsprogramm für Studierende. Auch in gemeinsamen EU-weiten Forschungsprojekten des EC2U-Verbunds wird das Thema Unternehmensgründung immer wieder eine Rolle spielen.

Interesse an Forschung wecken

An den einzelnen Standorten werden die Universitäten zudem Schulen einbinden. Zum einen haben Lehramtsstudierende die Möglichkeit, ihr Praxissemester in einer der europäischen Partnerstädte zu absolvieren. Zum anderen sollen Schulen kleine Forschungsvorhaben umsetzen. Forschende der Universität begleiten sie dabei. „So wollen wir das Interesse an Forschung wecken und entwickeln“, sagt Hillinger. Bei den Vorhaben der EC2U sollen sich auch Bürgerinnen und Bürger einbringen können. Geplant ist eine Plattform, über die sie wissenschaftliche Projekte unterstützen können, zum Beispiel indem sie für ein Projekt zum Thema Artenschutz mithelfen, die Anzahl der Insekten in einer bestimmten Gegend zu zählen. Dabei wollen die Hochschulen auch länderübergreifend zusammenarbeiten. Außerdem sollen kleinere Veranstaltungen stattfinden, für die Bürgerinnen und Bürger Themen vorschlagen können. Die Ergebnisse werden dann bei einer Veranstaltung auf europäischer Ebene diskutiert: dem EC2U-Forum. Hier laufen viele Aktivitäten der Allianz zusammen.

Wenn wir den Partnern unsere Stärken anbieten, bringen wir Europa weiter – weit über die Universitätsmauern hinaus

Die Mitglieder der Allianz wollen außerdem neue Modelle für gemeinsame Studiengänge erproben. Bei einem der angedachten Modelle wechseln die Studierenden in jedem Semester die Universität. So studieren sie an drei verschiedenen Hochschulen und machen dann an einem vierten Standort ein Praktikum und den Abschluss. Bei einem weiteren Modell sollen die Studierenden an drei Universitäten nach ihren Wünschen Kurse auswählen können und dafür zum Teil für kürzere Aufenthalte an die jeweilige Universität gehen können. „Dabei wollen wir untersuchen, wie weit die Freiheitsgrade für die Studierenden gehen können“, sagt Hillinger.

„Science with and for Society“: Die Hochschulallianz will die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und mit Unternehmen fördern.

Das erste Masterprogramm der „Europäischen Hochschule“ steht bereits: European Languages and Cultures in Contact heißt es und richtet sich an Linguistik-Studierende. Es bietet ihnen die Möglichkeit, Kurse an verschiedenen EC2U-Universitäten zu absolvieren. Im Rahmen des Masters komme somit das zum Tragen, was beim Thema Bildung wichtig sei, sagt Professor Efrem Yildiz. Die Universität solle die Studierenden nicht nur auf ihre berufliche Zukunft vorbereiten, sondern auch den Horizont im europäischen Sinne erweitern, erklärt der Vizerektor für Internationale Beziehungen an der Universität Salamanca. „Es geht darum, andere Kulturen besser kennenzulernen und unterschiedliche Lehr- sowie Forschungsmethoden auszutauschen“, sagt Yildiz. „Wenn wir den Partnern unsere Stärken anbieten, bereichern wir uns gegenseitig und bringen Europa weiter – und das nicht nur zwischen den Universitätsmauern, sondern weit darüber hinaus.“

Ein geeinteres Europa verwirklichen

Die Studierenden konnten sich am Projektvorschlag für EC2U beteiligen, damit die Projekte ihren Bedürfnissen entsprechen. So haben sie ihre Erfahrungen zu Erasmus+ einfließen lassen, berichtet EC2U-Koordinator Professor Ludovic Thilly von der Universität Poitiers. Die „Europäische Hochschule“ werde nun alle voranbringen, so Thilly. „Die Aktivitäten werden dazu beitragen, klischeehafte Ansichten über regionale und nationale Identitäten zu überwinden und so ein geeinteres Europa zu verwirklichen.“

Der EC2U-Allianz gehören rund 160.000 Studierende und 20.000 Hochschulangestellte in sieben Ländern an. Mehr unter www.ec2u.eu

Claudia Hillinger ist sich aber auch der Herausforderungen bewusst: „Wir werden an der einen oder anderen Stelle auch an Grenzen stoßen.“ So müsse sich erst noch zeigen, inwiefern die unterschiedlichen Genehmigungsverfahren für die neuen Studiengänge für die beteiligten Universitäten und Länder und auf europäischer Ebene zusammenpassten. Die Leiterin des Internationalen Büros ist aber optimistisch: „Wir werden durch unsere Arbeit neue Wege aufzeigen“, sagt Hillinger. Und das europaweit.

Autor: Hendrik Bensch